
Ausschnitt aus einem Klassenfoto der Realschule Grünberg, Ostern 1923
(Archiv der Theo-Koch-Schule)
Hermann Eckstein wurde am 15. Oktober 1907 in Kesselbach geboren.1 Hermanns Vater Leopold, geboren am 2. November 1875, war bereits in dritter Generation Viehhändler und Landwirt in Kesselbach. 1927 und 1929 amtierte er als Gemeindevertreter der bürgerlichen Gemeinde Kesselbach, 1932 war er dritter Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde Londorf. Hermanns Mutter Minna Stern, geboren am 14. Oktober 1872, stammte aus dem Dorf Niederweidbach bei Biedenkopf, in dem es vor der Shoah eine jüdische Gemeinde gab.
Hermann Eckstein war das älteste von sechs Geschwistern: Ludwig (geb. 1910), Bertha (geboren im April 1916, gestorben im November 1916, beerdigt auf dem Jüdischen Friedhof in Londorf), Sidonie (geb. 1918), Manfred (geb. 1919) und Norbert (geb. 1922).
Bis zu ihrer Vertreibung lebte die Familie Eckstein in Kesselbach in der Appenborner Straße 12, jetzt Alsfelder Straße 10. Nach Artur Rothmann hatten sie den Dorfnamen „Heiems“.2 Wie etabliert die Familie in Kesselbach war, schildert Herman Eckstein im Entschädigungsverfahren: „Mein Vater […] besuchte [in Kesselbach] die Volksschule und arbeitete dann im elterlichen Viehgeschaeft, das er im Jahre 1900 auf eigene Rechnung weiterfuehrte. Es war ein altes, gut eingefuehrtes Geschaeft.“3
Ebenso wie seine Brüder Ludwig und Manfred besuchte Hermann die Grünberger Realschule.4 Eingeschult wurde er in Quinta an Ostern 1918. In seiner Klasse waren zwei weitere jüdische Schüler: Manfred Jonas und Alfred Joseph, beide aus Londorf. Ostern 1923 verließ Hermann Eckstein die Schule mit der Obersekundareife. Als Berufswunsch gab er „Kaufmann“ an. Seine Noten auf dem Abgangszeugnis, von dem eine Abschrift in der Entschädigungsakte erhalten ist,5 waren im mittleren Bereich.
Im Mai 1923 meldete er sich nach Frankfurt am Main ab. Kurz darauf begann er eine kaufmännische Lehre bei der Firma Schweitzer & Oppler, einem in der Hanauer Landstraße 425 im Frankfurter Ostend gelegenen Metall- und Schrotthandel.6 In seinem Arbeitszeugnis, von dem eine Kopie in der Entschädigungsakte erhalten ist, heißt es: „Herr Hermann Eckstein […] trat bei uns am 1. Juni 1923 als Lehrling ein. Er wurde, um sich Materialkenntnisse anzueignen, zuerst 1 Jahr in unserem Lagerbetrieb beschäftigt. Nachher erlernte er die einschlägigen Arbeiten unserer Dispositionsabteilung, Buchhaltung sowie die des Kassenwesens, sodass er eine durchaus abgeschlossene Lehre hinter sich hat. – Herr Eckstein hat die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer vollsten Zufriedenheit ausgeführt und hat sich stets als fleissiger, ehrlicher und intelligenter Mitarbeiter gezeigt.“7
Im Mai 1926, als in Grünberg eine Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der Oberrealschule erschien, wohnte Hermann Eckstein – so der Vermerk neben seinem Eintrag im Ehemaligenverzeichnis – in der „Eschersheimerlandstraße 81“.8 Nach Beendigung seiner Lehrzeit bei Schweitzer & Oppler am 28. November 1926 „übernahm er die Abwicklung der Kassengeschäfte sowie die Abteilung Abrechnung.“9 Er verließ die Firma am 22. Februar 1927 „auf eigenen Wunsch, um sich noch anderweitig fortzubilden.“10
Am 4. April 1927 trat er als kaufmännischer Angestellter bei der Metall- und Schrotthandlung J. Adler Junr. ein. Bei dieser Firma sollte er mehr als elf Jahre bleiben. Über seine Arbeit heißt es in dem in der Entschädigungsakte erhaltenen Zeugnis vom 12. November 1938: „Herr Hermann Eckstein […] war einige Jahre in der Metallabteilung tätig und vorwiegend am Lager in Frankfurt a./M.-Seckbach11 beschäftigt. In den letzten Jahren hat er dieser Abteilung am Lager als Leiter vorgestanden. Ihm oblag die Sortierung der Bestände sowie der Ein- und Ausgang in Neu- und Altmetallen und Metallrückständen. Durch seine Versetzung in den Betrieb Rüstringen [vermutl. bei Wilhelmshaven; Anm. d. Red.] der Gemeinschuldnerin12 konnte er sich besondere Fachkenntnisse in der Abwrackung und Verwertung von Schiffen, Schiffseinrichtungen und in der Zerlegung von Lokomotiven erwerben. Herr Eckstein besitzt gute Fachkenntnisse in Metallen und Schrott. Er war ein Fleißiger und gewissenhafter Angestellter der Firma J. Adler junr. Seine Führung war jederzeit einwandfrei. Infolge des Konkursverfahrens ist Herr Eckstein am 11.11.1938 aus dem Angestelltenverhältnis ausgeschieden.“13
Nach der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde Hermann Eckstein inhaftiert14 – er wohnte zu diesem Zeitpunkt noch in der Eschersheimer Landstraße 8115 – und am 12. November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert.16 „Die Verhaftung der Juden und ihre Verbringung in Konzentrationslager“, so Wolf-Arno Kropat in seiner Dokumentation „Kristallnacht in Hessen“, „sollte offensichtlich als brutales Zwangsmittel dienen, um die ‚Arisierung‘ jüdischer Firmen und die Auswanderung der Juden aus Deutschland zu beschleunigen.“17 Hermann Eckstein hatte die Häftlingsnummern 6145, 5169 und 29363.18 Nach den erhalten gebliebenen Geldverwaltungskarten aus der Effektenkammer schickten ihm seine Eltern und eine Verwandte in Frankfurt insgesamt 110 Mark ins Lager.19 Mit ihm im Konzentrationslager Buchenwald waren inhaftiert sein Bruder Ludwig (Louis) Eckstein und Joseph Blumenthal aus Kesselbach, der Vater des ehemaligen Grünberger Schülers Martin Blumenthal.20
Eine Vorstellung davon, wie es den sogenannten „Aktionsjuden“, also den nach der Reichspogromnacht eingelieferten jüdischen Jugendlichen und Männern, erging, gibt ein Bericht ehemaliger Buchenwald-Häftlinge : „Nach Buchenwald kamen [nach den Novemberpogromen 1938; Anm. d. Red.] 10.000 [neue Häftlinge], darunter 3000 Juden, die in der Frankfurter Festhalle zusammengetrieben wurden. […] Schon auf dem Weg vom Bahnhof Weimar nach Buchenwald stand die SS mit Knüppeln und Ochsenziemern bewaffnet Spalier und schlug auf die Juden ein. Die von blutigen Gepäck- und Kleidungsstücken bedeckte Straße glich einem Schlachtfeld. Zurückbleibende wurden erschossen. Die Überlebenden mußten die blutüberströmten Verwundeten und Toten mit ins Lager schleppen. Am Tor des KZ stauten sich die Massen. Immer je 1000 kamen zugleich an. Die SS ließ das große Gittertor geschlossen. Die Ankommenden mußten durch das kleine Tor, sofort standen die SS-Blockführer wieder Spalier und schlugen erneut auf die Juden ein. Nicht einer kam ohne Verletzung davon. Was sich damals im Lager zutrug, kann man in wenigen Worten nicht schildern. Wie furchtbar das war, kann man daraus ersehen, daß gleich in der ersten Nacht 68 Juden wahnsinnig wurden und dann von SS-Oberscharführer Sommer, der zuständig für den Bunker (Arrestzellen) war, wie tolle Hunde tot geschlagen wurden.“21
Durch beengte Verhältnisse, die katastrophale sanitäre Situation und verdorbenes Fleisch entstand schon bald eine Durchfallepidemie: „Die Menschen krümmten sich vor Schmerzen, sie weinten und schrieen – es war grausam. Die SS nutzte die Aktion nicht nur zur Befriedigung ihrer Mordlust, sondern auch zur persönlichen Bereicherung, an der von der SS-Führung bis zum kleinsten SS-Mann alle beteiligt waren.“22
Über seine Auswanderung schrieb Herman Eckstein: „Da die Verhaeltnisse fuer mich infolge der Nazis immer schwieriger und gefaehrlicher wurden, ging ich am 2. April 1939 nach London, um mich dort aufzuhalten bis meine Einwanderung nach den Vereinigten Staaten von America moeglich wurde. Von einem Bekannten erhielt ich $ 500,00 [um] Aufenthalt in England und Reise nach U.S.A. zu bestreiten. Diesen Betrag habe ich spaeter in U.S.A. under grossen Schwierigkeiten zurueckgezahlt. Eine Schiffsfahrkarte nach den Vereinigten Staaten von America hatte ich in Deutschland vorausbezahlt, sie wurde jedoch nach Kriegsausbruch unbrauchbar, da ich erst am Jahresende nach U.S.A. auswandern konnte. Am 10. Januar 1940 traf ich in New York ein. In den Vereinigten Staaten habe ich mir sehr schwer getan um mein Leben zu verdienen und auch heute habe ich sehr zu kaempfen. Ich bin seit Oktober 1940 verheiratet [mit Ida Grünebaum; Anm. d. Red.23], habe zwei Kinder von 9 und 11 Jahren und wohne 5368 Cordelia Ave[nue] 6 Baltimore 15 Maryland.“24

Reisepass ausgestellt in Frankfurt a. M. am 9. März 1939
(HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 11)
Für die verfolgungsbedingte Unterbrechung seiner beruflichen Laufbahn erhielt Herman Eckstein eine Entschädigung von 1.065 DM.25 Die Auswanderungskosten sollten mit 557 DM kompensiert werden, wogegen Herman Ecksteins Anwalt Klage einreichte. Wie so viele Verfolgte hatte auch Herman Eckstein Probleme, die erforderlichen Beweise zu erbringen, und so einigte man sich in einem Vergleich auf eine Entschädigungssumme von 1.300 DM.26
Am 24. Oktober 1990, kurz nach seinem 83. Geburtstag, starb Herman Eckstein in Baltimore.27 Seine Frau Ida, deren Eltern beide in der Shoah umgekommen waren, starb 2009 im Alter von 97 Jahren.
Und wie erging es Hermans Familienangehörigen nach 1933? Hermans Brüder überlebten: Norbert Eckstein emigrierte im Mai 1938 nach Haifa in Palästina, Manfred Eckstein im September 1938 nach Kolumbien und Ludwig (Louis) Eckstein im März 1939 nach New York, USA.28
Über das Schicksal seiner Eltern schrieb Herman Eckstein im Entschädigungsverfahren: „Mein Vater Leopold Eckstein […] war vom 9. November 1938 bis 15. Dezember 1938 im K.Z. Buchenwalde. Im Jahre 1937 wurde ihm die Handelskarte entzogen und konnte er sein Geschaeft nicht mehr weiterfuehren, das schon seit dem Jahre 1933 sehr schwer unter dem Boykott litt. Sein Konto war bei der Hessischen Sparkasse in Kesselbach und das zustaendige Finanzamt war in Gruenberg, Oberhessen. Meine Mutter Mina Eckstein geb. Stern […] und mein Vater wohnten zuletzt in Frankfurt/Main, Rotlintstrasse. Der Boykott in den kleinen Orten zwang sie, in die Grossstadt zu gehen. Das war im Jahre 1939. Sie hatten dort eine [unlesbar] Zimmerwohnung. Wie mir meine Eltern schrieben, hatten sie bis zuletzt den Hausrat zusammen gehalten, da sie nach U. S. A. auswandern wollten und ihm [sic] mitnehmen wollten. Schon vorher hatten sie ihren Schmuck, Gold und Silbergegenstaende abliefern muessen, als ich selbst noch in Deutschland war. Meine Mutter wurde schließlich im Mai 1942 deportiert und ist dabei umgekommen. Mein Vater starb im Oktober 1940. […] Ausser mir haben noch 3 Brueder ueberlebt.“29
In dem Aufsatz von Artur Rothmann in der Londorfer Chronik heißt es: „Leopold Eckstein verkaufte sein Haus am 23. Mai 1939 an die Familie Hormann und zog am 6. Juli 1939 mit Ehefrau Minna und Tochter Sidonie, genannt Toni, nach Frankfurt/Main. Dort starb er 1940 eines natürlichen Todes [laut Todesurkunde „Angina pectoris / Arterienverkalkung“;30 Anm. d. Red.]. Kurz von seinem Tod war Leopold noch in Kesselbach und hatte sich einen Korb seiner geliebten roten Äpfel abgeholt. Die beiden Frauen wurden deportiert und ermordet.„31
Hermans Mutter Minna wurde am 11. Juni 1942 aus Frankfurt in die Region Lublin deportiert.32 Monica Kingreen beschreibt die Einzelheiten der Deportation: „Am 7. Juni 1942 hatten die Menschen ein Schreiben der Jüdischen Gemeinde bekommen: ‚Auf behördliche Anordnung setzen wir Sie davon in Kenntnis, dass Sie sich ab Mittwoch, dem 10. Juni 1942, vormittags 8 Uhr, zur Abwanderung in Ihrer Wohnung bereitzuhalten haben.‘ […] Am Morgen des 11. Juni 1942 verließ ein Zug mit etwa 1.120 bis 1.190 Personen Frankfurt a.M. mit Ziel Izbica im besetzten Polen. Der Zug fuhr ebenso wie die beiden Transporte zuvor nach Lublin zum Nebengleis ‚Alter Flugplatz‘, wo die Jungen und Männer im Alter von 15 Jahren herausgeprügelt wurden. Mindestens 188 bis ca. 260 Menschen aus diesem Frankfurter Transport sind in den Listen des KZ Majdanek vermerkt. […] Alle selektierten Männer gingen in den folgenden Wochen im KZ Majdanek zugrunde […].“33
Die restlichen Deportierten, so Kingreen weiter, fuhren zuerst nach Izbica, wo sie ein bis zwei Tage blieben, „[m]öglicherweise aber fuhr der Zug auch unmittelbar in das Vernichtungslager Sobibor, nordöstlich von Lublin gelegen. Seit Anfang Mai war Sobibor mit drei Gaskammern ‚betriebsfertig‘ – ausschließlich zur Ermordung von jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Das Öffnen der Türen des Zuges an der Rampe in Sobibor bedeutete, dass die Ankommenden nur noch zwei Stunden zu leben hatten. Männer und Frauen mussten sich in getrennten Baracken entkleiden. […] Alle Körperöffnungen wurden nach versteckten Wertgegenständen durchsucht, den Frauen die Haare geschoren. Zuerst wurden die Männer, dann die Frauen und Kinder in Gruppen von fünfzig bis hundert Menschen durch den sog. Schlauch getrieben und in die Gaskammern gedrängt, der Dieselmotor mit seinem 200 PS starken Achtzylinder-Benzinmotor angeworfen und die erzeugte Mischung von Kohlenmonoxid und Kohlendioxid in die Gaskammern geblasen. Nach etwa 30 Minuten waren alle Menschen ermordet. […] Kein einziger Überlebender dieser Deportation von mehr als 1.100 Menschen aus Frankfurt a.M. ist bekannt.“34
Hermans Schwester Sidonie Eckstein, genannt Toni, hatte sich laut An- und Abmeldebuch Kesselbach im April 1935 nach Pfungstadt abgemeldet, im Juli 1935 wieder in Kesselbach angemeldet und im Oktober 1938 als Haushaltsgehilfin nach Frankfurt am Main angemeldet.35 Ab Juli 1939 wohnte sie dort mit den Eltern in der Rotlintstraße 41. Im Oktober 1940 meldete sie den Tod des Vaters; im Juni 1942 musste sie das spurlose Verschwinden der Mutter verkraften – nach Kingreen hat „wohl nie ein Lebenszeichen der Verschleppten Frankfurt a.M. oder die Region erreicht.“36
Im Juli 1942 zog Sidonie (Toni) Eckstein aus Frankfurt am Main, Schumannstraße 27, nach Berlin, Kommandantenstraße 57/59.37 Vermutlich leistete sie in der Hauptstadt in einem „kriegswichtigen“ Betrieb Zwangsarbeit, da sie erst sehr spät, nämlich am 1. März 1943, mit dem 31. sogenannten „Osttransport“ nach Auschwitz transportiert wurde.38
Wolf Gruner schreibt über diese Transporte: „Zu Beginn des Jahres 1943 lebten in Deutschland nur noch 51.327 Jüdinnen und Juden, unter ihnen ca. 20.000 Zwangsarbeiter. Mitte Februar fiel die Entscheidung, die Deportationen abzuschließen, und zwar mit einer Großrazzia. Am 20. Februar gab das Reichssicherheitshauptamt neue Richtlinien zur ‚Evakuierung von Juden nach dem Osten (KL Auschwitz)‘ heraus. Alle Juden, auch bisher verschonte Zwangsarbeiter, ausgenommen allein die in ‚Mischehe‘ Lebenden, sollten deportiert werden. Nur wenige Tage später befahl das RSHA, am 27. Februar 1943 in einer Großrazzia ‚sämtliche noch in Betrieben beschäftigten Juden‘ aus diesen zu entfernen. Diese ‚Fabrik-Aktion‘ stellte neben den Ausweisungen polnischer Juden Ende Oktober 1938 und den Verhaftungen während des Novemberpogroms 1938 die drittgrößte Razzia gegen Juden im Reichsgebiet dar. Binnen weniger Tage deportierte die Gestapo 10.948 Juden, zwei Drittel aus Berlin, ein Drittel aus dem übrigen Reichsgebiet. Die Mehrheit von ihnen [unter ihnen Sidonie Eckstein; Anm. d. Red.] wurde sofort in Auschwitz ermordet.“39
Erinnert man sich in Oberhessen noch an die Familie Eckstein? „Am 15. April 1985“, so ist bei Artur Rothmann zu lesen, „schrieb Hermann Eckstein einen Brief an Katharine Hormann, in dem er von den Lebensläufen der vier Brüder und ihrer Nachkommen berichtete. Am 19. August 2006 besuchte Ilse Eckstein, Tochter von Manfred, zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Cousine das Haus ihrer Vorfahren. Eingeladen hatten sie Helmut und Heinrich Hormann, deren Familie das Haus von den Ecksteins gekauft hatte. Helmut und Heinrich war es ein Anliegen, die Erinnerung an die Familie Eckstein in Rabenau lebendig zu erhalten. Ihnen verdanke ich [sc. Artur Rothmann; Anm. d. Red.] auch viele der Informationen.“40
An Hermans Onkel Emanuel Eckstein, geboren 1873 in Kesselbach, erinnert in der Wetterauer Kleinstadt Nidda die „Emanuel-Eckstein-Anlage“ unweit des Bahnhofs. In diesem Bahnhof, im Wartesaal 4. Klasse, war am 19. Oktober 1939 Emanuel Eckstein im Alter von 65 Jahren an einem Herzschlag gestorben. Eine Gruppe von Jugendlichen, angestachelt von ihrem antisemitischen Lehrer, hatten den alten Mann durch die Bahnhofstraße buchstäblich zu Tode gehetzt. Die ganze Geschichte erzählt der Journalist Johannes Winter in seinem Buch „Herzanschläge. Ermittlungen über das Verschwinden von Juden, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus dem Dorf“, Frankfurt a. M. 1993. Eine vom Verlag Brandes & Aspel genehmigte Reproduktion dieser sehr lesenswerten Reportage ist hier zu finden.
- Hierzu und zum Folgenden vgl. Hanno Müller: Juden in Rabenau. Geilshausen, Kesselbach, Londorf, Rüddingshausen. Jüdische Schüler in Grünberg. Hg. von der Ernst Ludwig Chambré-Stiftung Lich, Lich 1923, S. 22 f. (Einträge zur Familie Eckstein).
↩︎ - Vgl. Artur Rothmann: Jüdisches Leben in der Rabenau. In: Verein für Heimat- und Kulturgeschichte der Rabenau (Hg.): 1250 Jahre Londorf. Die Zeit von 1958 bis 2008, S. 72–113, hier S. 102.
↩︎ - Eidesstattliche Erklärung von Herman Eckstein vom 9. Oktober 1956, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5.
↩︎ - Zum Schulbesuch in Grünberg vgl. die folgenden Dokumente aus dem Archiv der Theo-Koch-Schule:
Hauptliste der Schüler und Schülerinnen der Höheren Bürgerschule Grünberg i. H. (bis Ostern 1914) und Realschule (O. 1914–O. 1926) und Oberrealschule (O. 1926–O. 1938) und Oberschule für Jungen (ab O. 139). Angefangen: Ostern 1910. Beendet mit Schluß des Schuljahres 1938/39, S. 34 f. (Eintrittsjahr 1918/19);
50 Jahrfeier der Oberrealschule zu Grünberg in Hessen. 22.–24. Mai 1926. Gedenkblätter von Oberstudiendirektor W. Angelberger und Studienrat O. Steuernagel, Grünberg i. H. 1926, S. 30 (Eintrittsjahr 1918/19);
Foto der Untersekunda des Schuljahres 1922/23, Realschule zu Grünberg in Hessen.
↩︎ - HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 7.
↩︎ - Im Institut für Stadtgeschichte (ISG) Frankfurt sind Grundrisse der Fabrikgebäude erhalten mit Angaben zu Nutzung und Verlauf der Eisenbahnlinie der Hafenbahn; ISG FFM, S8-1, 7529 (noch nicht eingesehen).
↩︎ - HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5.
↩︎ - 50 Jahrfeier der Oberrealschule zu Grünberg in Hessen. 22.–24. Mai 1926. Gedenkblätter von Oberstudiendirektor W. Angelberger und Studienrat O. Steuernagel, Grünberg i. H. 1926, S. 30 (Eintrittsjahr 1918/19).
↩︎ - HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5.
↩︎ - Ebd.
↩︎ - Im Institut für Stadtgeschichte (ISG) Frankfurt ist eine Sachakte der Firma J. Adler am Standort Seckbach erhalten. Als Adresse ist Kruppstraße 121/127 angegeben (noch nicht eingesehen).
↩︎ - Laut Brockhaus ist ein „Gemeinschuldner“ (Synonym: „Konkursschuldner“) „derjenige, über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet ist. Mit der Konkurseröffnung verliert der G. die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, an den Konkursverwalter.“ (Brockhaus-Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Neunzehnte, völlig neu bearbeitete Auflage. Achter Band: FRU–GOS, Mannheim 1989, S. 270.)
↩︎ - HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 6. – Ob Hermann Eckstein wirklich aufgrund des Konkursverfahrens oder aufgrund seiner Inhaftierung in Buchenwald entlassen wurde, ist unklar. Denkbar wäre auch, dass es sich bei der Firma J. Adler junr. um eine jüdische Firma handelte und dass der „Konkurs“ ein erzwungener war. Das Datum (11. November 1938) ist jedenfalls auffällig.
↩︎ - Eidesstattliche Erklärung vom 9. Oktober 1956, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5.
↩︎ - Polizeiliche Abmeldung vom 2. März 1938, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 9.
↩︎ - Vgl. die Inhaftierungsbescheinigung des International Tracing Service (ITS), HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 58.
↩︎ - Wolf-Arno Kropat: Kristallnacht in Hessen. Der Judenpogrom vom November 1938. Eine Dokumentation. Hg. von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen in Verbindung mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Wiesbaden 1988 (=Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Bd. X), S. 167.
↩︎ - Hierzu und zum Folgenden vgl.: Effektenkarte von Hermann Eckstein, Konzentrationslager Buchenwald, 1938/1939, 1.1.5/ 5808112/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives; Geldverwaltungskarten von Hermann Eckstein, Konzentrationslager Buchenwald, 1938/1939, 1.1.5.3/ 5809907 und 5809908/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
↩︎ - Im e-guide der Arolsen Archives, einer Frage- und Antwort-Rubrik zu den Dokumenten, wird erklärt: „Die Effektenkammer war neben der Verwaltung von Kleidungsstücken auch für die Verwahrung von Geld verantwortlich. […] In der Häftlingsgeldverwaltung, einer Untereinheit der Effektenkammer, verwalteten SS-Männer und SS-Aufseherinnen die Ein- und Auszahlungen. […] Die Häftlinge mussten Ein- und Auszahlungen auf den Geldverwaltungskarten mit ihrer Unterschrift bestätigen. […} Teilweise wurde der Betrag in sogenanntem Lagergeld ausgegeben, einer Währung, die nur im Lager von Nutzen war und eine Flucht erschweren sollte. […] In den Lagern konnte das Geld in der Kantine ausgegeben werden, wo unter anderem Tabak und Nahrungsmittel verkauft wurden, oder man konnte es auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel eintauschen. […] Da die Häftlinge lange keine Pakete mit Lebensmitteln empfangen durften, war dies die einzige Möglichkeit, etwas gegen den Hunger zu unternehmen. […] Die Geldverwaltungskarten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit der Gefangenen im Lager kein Geld besaß. Der Historiker und Überlebende Eugen Kogon geht im Rückblick davon aus, dass in Buchenwald etwa nur ein Drittel der Gefangenen Geldsendungen erhielt. Und selbst wenn Häftlinge über Geld verfügten, konnten sie in den Lagern nicht immer Lebensmittel davon kaufen. Die Lagerkantinen, in denen sie ihr Geld hätten ausgeben können, boten manchmal nichts oder nur wenig an, die teilweise schlechten oder abgelaufenen Lebensmittel wurden zu hohen Preisen verkauft und es gab nur selten sättigende Grundnahrungsmittel.“ (e-Guide Arolsen Archives, zuletzt aufgerufen am 24. September 2025).
↩︎ - Vgl. eidesstattliche Erklärung von Joseph Blumenthal vom 13. November 1956: „Ich erkläre hiermit an Eidesstatt, dass Herr Herman Eckstein vom 9. November 1938 bis 19. Februar 1939 im Konzentrationslager Buchenwalde mit mir zusammen war.“ (HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 12); sowie die eidesstattliche Erklärung von Herman Eckstein vom 9. Juni 1960: „Ich erklaere hiermit an Eidesstatt, dass ich Herman Eckstein […] vom 9. November (Vom Rath Aktion) bis zum 16. Februar 1939 im Konzentrations Lager Buchenwald war. […] Ausserdem erklaere ich an Eidesstatt, dass ich keinen persoenlichen Kontakt habe, mit Personen die mit mir im Lager waren ausser meinem Bruder Louis Ecksstein wohnhaft in New York.“ (Ebd., Bl. 49; Originalschreibung weitestgehend beibehalten.)
↩︎ - Emil Carlebach, Willy Schmidt und Ulrich Schneider: Buchenwald – ein Konzentrationslager. Berichte – Bilder – Dokumente. Hg. im Auftrag der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora, Bonn 2000, S. 44.
↩︎ - Ebd.
↩︎ - Nach Informationen auf dem genealogischen Portal Geni: Ida Eckstein (Grunebaum) (1913 – 2009) – Genealogy (zuletzt aufgerufen am 24. September 2025).
↩︎ - Eidesstattliche Erklärung vom 9. Oktober 1956, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5 (originale Schreibweise weitgehend beibehalten).
↩︎ - Bescheid vom 23. Oktober 1957, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 19.
↩︎ - Vergleich vom 12. November 1958, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 38.
↩︎ - Nach Informationen auf dem genealogischen Portal Geni: Herman Eckstein (1907 – 1990) – Genealogy (zuletzt aufgerufen am 24. September 2025).
↩︎ - Vgl. Müller, Juden in Rabenau, S. 22 f.
↩︎ - Eidesstattliche Erklärung vom 9. Oktober 1956, HHStAW Best. 518 Nr. 10590, Bl. 5 (originale Schreibweise weitgehend beibehalten). – Genaueres über den geraubten Besitz der Ecksteins dürfte aus der Entschädigungsakte zu erfahren sein: HHStAW, 518, 10591 (noch nicht eingesehen).
↩︎ - Sterbeurkunde von Leopold Eckstein, Standesamt Frankfurt a. M., Abschrift vom 3. September 1947, 2.2.2/ 76735316/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
↩︎ - Rothmann, Jüdisches Leben in der Rabenau, S. 103.
↩︎ - Vgl. den online-Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs: Gedenkbuch – Gedenkbucheintrag (zuletzt aufgerufen am 25. September 2025).
↩︎ - Monica Kingreen: Die Deportation der Juden aus Hessen 1949 bis 1945. Selbstzeugnisse, Fotos, Dokumente. Aus dem Nachlass herausgegeben und bearbeitet von Volker Eichler, Wiesbaden 1923 (=Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen), S. 121.
↩︎ - Ebd.
↩︎ - Vgl. Müller, Juden in Rabenau, S. 23.
↩︎ - Kingreen, Die Deportation der Juden aus Hessen, S. 121.
↩︎ - Vgl. Müller, Juden in Rabenau, S. 23.
↩︎ - Vgl. den online-Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs: Gedenkbuch – Gedenkbucheintrag (zuletzt aufgerufen am 25. September 2025).
↩︎ - Wolf Gruner: Von der Kollektivausweisung zur Deportation der Juden aus Deutschland (1938–1945). Neue Perspektiven und Dokumente. In: Birthe Kundrus und Beate Meyer (Hg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland. Pläne – Praxis – Reaktionen. 1938–1945, Göttingen 2004 (=Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 20), S. 21–62, hier S. 58.
↩︎ - Rothmann, Jüdisches Leben in der Rabenau, S. 103.
↩︎